Leseprobe aus den insgesamt 54 Kapiteln

10 Episoden von VEROCAIN aus der Perspektive des Gabriel, die etwa in der Mitte der gesamten Handlung spielen


Vom alten Wohnzimmerschrank

Der alte Wohnzimmerschrank meiner Mutter steht seit Jahren auf dem
Speicher. Solides Holz. Etwas matt mittlerweile, aber unverwüstlich.
Beim Öffnen der Türen entströmt der Muff der Wunderkinderzeit.
Wenn er sprechen könnte, der Schrank, würde er wohl Geschichten
von Adenauer, Fritz Walter oder vom Stolz, wieder wer zu sein, erzählen.
Und von meiner Mutter natürlich.
Beim Aufräumen fiel mir neulich das Fotoalbum meiner Konfirmation
in die Hände. Nichts als aufgeklebte Zeit mit geheuchelten Randnotizen.
Wie ein ferner Film mit einem Hauptdarsteller, der ungläubig lächelnd, regelrecht gemütskrank zwischen allen Stühlen sitzt. Vater
zog es vor, drei Tage vorher spurlos zu verschwinden, beeilte sich aber
zum Kirchgang doch noch rechtzeitig zu erscheinen, zwar mit gehöriger
Asbachfahne, aber immerhin mit korrekt gebundenem Windsorknoten.
Da war es wieder: das komplette Drama der Details in chaotischer
Reihenfolge. Wie so oft malte ich mir die Bilder lieber selbst aus,
versuchte den Stapel der Skizzen im Kopf zu ordnen, wobei ich einige
immer wieder beiseite schob, wohl wissend, dass man das Geschehene
dadurch nicht ungeschehen machen kann.
Was würde sie wohl sagen, wenn sie wüsste, dass das Ölgemälde
ihres mutmaßlichen Lovers heute noch, siebzehn Jahre nach ihrem
Tod, in meinem Arbeitszimmer hängt? Diese eindimensionale Idylle
der hohen Berge mit den stolzen Tannenwipfeln, die ihr oft den Blick
darauf trübte, welche Schande ein ganzes Land auf sich laden kann.
Die Rolle meiner Mutter und die des Malers blieb bis zum Schluss
ungeklärt. Da fanden sich Zeugnisse und Dokumente, die manches ins
Licht rückten, was besser im Dunkeln geblieben wäre. Schon darum
nehme ich mir das Recht, die Unordnung im äußeren und seelischen
Bereich, die meine Mutter mir und meinen Freunden damals dauernd
attestierte, jeden Tag aufs Neue zu sortieren.

Tyler Durdon beim Abendessen


Soso… Tyler Durdon war also ein cooler Typ. So jedenfalls klang es

wörtlich aus ihrem Mund an jenem Abend, als Jeanette und Olaf uns

zum Essen eingeladen hatten. Dieses Abendessen blieb mir über die

Zeit als Theater choreographierter Peinlichkeiten haften.


Vitello Tonnato wurde unter anderem serviert, mit eigenhändig

aufgeschlagener Crème natürlich, so wie Biolek das im Fernsehen

vorgemacht hatte, dazu ein erdiger Barolo und Weißbrot. Von Lebensart

sprachen die beiden ebenso beiläufig wie beständig.


Jeder am Tisch faselte etwas Halbwissen aus Feuilletonseiten nach,

damit bloß nicht zur Sprache kam, was jeder wusste. Olaf fickte

eine andere – Jeanette litt. Ramona wusste wohl, wer diese andere

war, Jeanette nicht, und ich auch nicht, allerdings ahnte ich, dass sie

ebenfalls am Tisch saß.


Ich wollte mich am Geschwätz nicht beteiligen. Doch dann brachte

Ramona wieder diesen Namen ins Gespräch, um eine unangenehme

Stille zu überbrücken. Ich hakte nach: „Wie kann man eine solch

abartige Figur cool finden? Könntest du das bitte mal erklären?“

Keine Antwort.


Die russische Kellnerin in Trastevere. Sie hatte kein Kinogesicht. Allerdings

riefen sich mit ihr so viele verpasste Chancen wieder ins Leben

zurück.


Das Versprechen


Das waren keine Tränen. Es regnete nur, als ich die Augen öffnete.

Der Schädel brummte wie eine verstimmte Kirchenorgel, die Glieder

bleiern. Es roch nach Erde, verwelkten Blüten. Meinen Nachnamen

erblinzelte ich eingemeißelt. Zu allem Unglück hatte ich mir noch

ein Loch in die Hose gerissen, als ich betrunken über den Zaun des

Friedhofs geklettert war, in jener Nacht, in der ich zum letzten Mal mit

meinem Vater sprechen wollte.


Es hatte geklappt. Es würde, vielleicht, doch noch etwas werden aus

mir. Keine Ahnung, ob er stolz gewesen wäre, oder doch, wie immer,

eifersüchtig. Jedenfalls wollte ich es ihm sagen.


Nachdem ich die letzte Strophe jenes Liedes gehört hatte, das mein

Leben veränderte, rannte ich einfach los. Und landete offensichtlich

mehrmals auf den Asphalt.


Vor Zeiten noch war ich in hohem Bogen vom Gymnasium geflogen,

ach ja… was die Leute so alles reden. Meiner Mutter war das immer

sehr wichtig, was die Leute so redeten und dachten.

Mit meinem Vater habe ich dann doch kein Wort mehr gewechselt.

Ich schlief ein, wankte später zurück nach Hause und legte mich ins

Bett. Meine Mutter machte sich wie üblich Sorgen, war aber trotzdem

mächtig stolz, dass der Junge jetzt doch noch studieren ging. Das wurde

der Verwandtschaft, der Nachbarschaft und jedem, der es hören wollte

– oder auch nicht – reihum mitgeteilt.


Ich durfte sogar zurück in mein Elternhaus, weil ich ob der kargen

Bezüge meine Wohnung nicht halten konnte. Aber sowohl meine

Mutter als auch die Verwandtschaft rangen mir das Versprechen ab,

das Haus wieder zu verlassen, sobald ein Examen meine Vita zierte.

Ich war schon immer nur bedingt erträglich für meine Umwelt.




Die Hexe


Die Hexe! Ich hatte ihren Betrug aufgedeckt, was mir in der Folge zwar

berufliches Ansehen einbrachte, aber ich hätte nicht lächeln sollen in

dem Moment, als sie sich in meinen Fragen verfing und aus der Nummer

nicht mehr raus kam – vor Zeugen. Was blieb ihr übrig, als die Spinne

platt zu schlagen? Mit einer Hand räumte sie meinen Schreibtisch ab.

Diese Gewalt, mit der sie einen Stuhl in meine Richtung schmiss, der

mich verfehlte…stattdessen brachen die Lamellen des Rollschranks

hinter mir. „Ich lass dir alle Knochen brechen! Ich lass dir deine Eier

abreißen und fress sie!“ Die Wortgewalt eines so ungebildet rohen

Menschen ließ mir wohl erneut die Mundwinkel zucken, obwohl ich

wusste, dass ihre Söhne draußen standen. Drei an der Zahl – und der

jüngste mit seiner pockennarbigen Fratze hielt es nicht aus, stand plötzlich

schreiend in der Tür, mit diesen Tieraugen, doch da war schon

Hilfe herbeigeeilt in Gestalt der freundlichen Helfer in Grün. Taubheit

stellte sich ein, die kein Schulterklopfen mehr wahrnimmt.

Als Miriam mir viel später bei einem Glas Wein auf der Wohnzimmercouch

eine gewisse äussere Ähnlichkeit zu Gustaf Gründgens

nachsagte, überprüfte ich anderntags mein Lächeln vorm Spiegel, so

ganz mit mir allein… und ja, ich dachte dabei an die Hexe. Denke an

sie bis heute, manchmal beim Rasieren.

Einige Jahre danach las ich frühmorgens in der Zeitung von dem qualvollen

Tod dieses behinderten Jungen aus Frankfurt. Meine Gesichtsfarbe

in diesem Augenblick interessiert mich bis heute. Dann klingelte

das Telefon im Büro. Es klingelt immer noch. Aber es geht zu langsam

zu Ende. Wenigstens die Hexe ist schon tot.

Was in den Prozessakten stand, würde nicht mal Tarantino verfilmen.

Bis heute kann ich nicht fassen, dass Menschen fähig sind, anderen

Menschen Dinge anzutun, die man nur aus Geschichtsbüchern oder

Zeitungsberichten über den Kosovokrieg kennt. Alles vor meiner

Haustür!

Manchmal stehe ich vorm Spiegel und übe Lächeln.


Wählen gehen 1998


Helmut Kohl und die Rolling Stones haben nicht viele Gemeinsamkeiten,

nur die eine, dass sie eigentlich schon immer da waren, seit ich

für mich selber denken kann. Der Erste nahm einen Gesetzesbruch für

sich in Anspruch und stellte ein Gaunerehrenwort über die Verfassung,

die Anderen klangen geil wie eh und je. Nie habe ich länger in

einer Wahlkabine überlegt, wohin nun das Kreuz zu machen sei, als

1998, dem Jahr, in dem dieses Land des immer so dümmlich-tölpelhaft

wirkenden Weingesichtigen überdrüssig wurde und zu neuen Ufern

aufbrechen wollte. Aber statt dessen diesem eitlen emporgekommenem

Fatzke meine Zustimmung erteilen? Wählen ist Bürgerpflicht, schon

aus meinem Verständnis heraus, dass ein Wahlrecht nichts Selbstverständliches

ist, sondern etwas, dass sich ein Gemeinwesen erarbeiten

und bewahren muss. Wobei fraglich bleibt, wie viel sich diese Nation

davon selbst erarbeitet hat.

Es gehört zu meinen Lebensrätseln, warum anschließend ausgerechnet

der Strafverteidiger einer Mörderin, die dieses System mit Waffengewalt

bekämpft hatte, für die innere Sicherheit meines Landes zuständig

sein musste. Ein noch dickeres Buch mit sieben Siegeln bleibt für

mich die Tatsache, dass ausgerechnet ein Sponti, der Polizisten mit

Steinen bewarf und dieses Land einst aktiv bekämpfte, dasselbe Land

von nun an im Ausland vertreten sollte. Und noch mehr wunderte

es mich, dass dieser Gockel zum beliebtesten Außenminister aller

Zeiten gekürt wurde. Diese Meinung teilten eine Menge Leute, die

mich wiederum an Taten maßen, die seit Schulzeiten zurücklagen; die

seinerzeit behaupteten, mit mir und meinesgleichen sei kein Staat zu

machen. Man muss die Dinge manchmal ins Verhältnis setzen, sich der

größeren Vergleiche bedienen, um sich darüber klar zu werden, dass

man auf die Meinung einiger Leute keinen Wert legen sollte.


Der größte Witz der Weltgeschichte


Ich und der größte Witz der Weltgeschichte, bei dem mir das Lachen

über die Pointe nur allzu oft im Halse stecken blieb. Dauernd muss

ich diese Hinrichtungsszene im Lendenschurz ertragen. Also der Kerl,

jetzt mal ernsthaft, der ist ja nicht unsexy.


Aber wieso darf ich am Karfreitag nicht tanzen, nur weil ein politischer

Straftäter, dessen Leben und Wirken ein Häuflein Unterprivilegierter

so beeinflusste, dass sie anschließend die größte Hochkultur

der Antike zu Grunde richteten? Kann das bitte mal jemand erklären?


Das will mir nach 2000 Jahren nicht so recht einleuchten. Ausweichen

ist unmöglich, denn der Witz ist präsent allerorten. Seine Anhänger

behüten bis heute das Erbe dieses krude-perversen Gedankengutes,

wobei sie diesem gegenüber ständig jenen Respekt einfordern, den sie

selbst niemals bereit sind, Andersdenkenden entgegenzubringen. Das

verbietet ihnen nämlich schon ihr missionarisches Sendungsbewusstsein,

jeden bekehren zu müssen, der sich den Vorgaben aus ihrem

Märchenbuch nicht anschließen mag. Selbst Voltaire und sein Zeitalter

konnten nicht verhindern, dass dieser Unfug immer noch alle gesellschaftlichen

Felder beackert. Das geht von Regelungen, wie im Schlafzimmer

zu verfahren ist, bis hin zur Stammzellforschung.


Das Leben ist unfair genug. Miriam erkrankte vor Jahren so schwer,

dass allein der Fortschritt des Geistes mit all seinen engagierten Helfern

im Dienste der Wissenschaft schließlich ihre Besuchszeit auf diesem

Planeten angenehm verlängerte. Und immer wieder las ich später

von den Tiefgläubigen, die das am liebsten verhindert hätten. Ja, ich

nehme das seitdem sehr persönlich, wenn jemand von mir verlangt,

ausschließlich auf den Beistand eines Gedankenbildes zu vertrauen,

das landläufig Gott genannt und erwiesenermaßen fälschlich als lieb

bezeichnet wird. Selig sind die geistig Armen. Sie verdienen mein

Mitleid. Aber Respekt?




Fünfzig werden


Wenn du Vierzig wirst, gibst du eine Party. Der Plan dazu beginnt

mit einer handgeschriebenen Gästeliste, die umfasst 100 bis 150 Leute.

Schließlich blickst du länger zurück als beim Dreißigsten. Es wird

gestrichen, aber am Schluss bleiben doch so um die 120 Leute übrig.

Du willst dich nicht lumpen lassen, rennst zum Metzger, entscheidest

dich für Rinderbraten mit pampiger Soße, weil das jeder mag, anstatt

etwas zu wagen, das anschließend auf den Tabletts liegen bleibt.


Da sind alle deine Freunde. Die werden sich bereit erklären, ihre Video

Kamera einzusetzen, um das Buffet zu filmen. Andere tragen zu deinem

Ehrentag selbst verfasste Gedichte vor oder singen ein Liedchen. Man

kann das Gutgemeinte nicht verdenken. Es geht ja schließlich um dich.

Niemand der etwa 120 Gäste käme auf die Idee, sich selbst darstellen

zu wollen, zum Beispiel in einem eigens für dich inszenierten Theaterstück,

in dem ein gerade beliebter Fernsehsketch nachgestellt wird.


Zum Fünfzigsten wird man dir in einer Art feierlichem Akt ein T-Shirt

überreichen. Da steht drauf: „Netter älterer Herr“. Das wird sicher der

Brüller des Abends.


Du hingegen hast die Möglichkeit mit Mitte 40 vorerst Bilanz zu ziehen.

Abschlüsse bringen nie erfreuliche Ergebnisse, selbst wenn etwas

dabei heraus springt. Wer also hatte in den zurückliegenden Jahren

von dir profitiert? Von wem hast Du etwas erhalten, das dich weiter

brachte? Es werden keine 120 Leute übrig bleiben. Und dann beginnst

du Summen zu bilden. Du addierst das Geben. Menschen sind so. Sie

addieren immer zuerst das Gegebene. Erst danach berücksichtigen sie

das Nehmen, wobei das ein oder andere auch schon mal großzügig

unter den Tisch fällt. Ganz am Schluss erfolgt das Gegenüberstellen

der Jahre. Die Gesichter verschwimmen. Unterm Strich entscheidet

sich zwischen Mickie Krause und U2, wer sich wirklich für dich interessierte

oder wer nur auf deiner Party anwesend war.




Mitglied einer Rockband sein


Nichts verbindet Menschen mehr als Musik. Kein Fußballverein, kein

Rotarier-Club, schon gar keine Partei. Über Jahrzehnte gewachsene

Männerfreundschaften in einer Band wärmen selten das Herz, aber sie

bleiben beständig für die großen Momente, in denen es um die Wurst

geht.


Ziel einer jeden Rockband sollte die Bewahrung und Verteidigung der

Grundwerte des Rock’n’Roll sein. Da bin ich ganz konservativ. Man

muss die Dinge auf sich zu kommen lassen, um am Ende dem ganzen

Schlamassel mit einem blauen Auge zu entrinnen.


Wer fast zwanzig Jahre in einer Rockband spielt, darf sich mindestens

einmal im Leben in die falsche Frau verlieben, zu einer Wahrsagerin

gehen, mit dem dort erworbenen Wissen alles aufgeben, ein neues

Leben beginnen und grandios scheitern. Versagen ist kein Zeichen von

Schwäche, sondern Bestandteil eines guten Charakters.


Wenn man glaubt, alles ist verloren, hilft nur eins – trinken. Und zwar

so lange, bis selbst mit aller Gewalt nichts mehr reingeht und das letzte

Essen wiederkommt. Speichelfäden hinterlassen keine dauerhaften

Flecken. Am besten trinkt es sich natürlich in Gesellschaft derjenigen,

die aus lauter Sympathie für’s Bier einfach mitleiden, dem wehleidigen

Gelaber lauschen, neunmalkluge Ratschläge beisteuern und größere

Pläne schmieden. Eine Rockband ist Heimat, ein Platz also, wo

bekanntlich jeder alles besser gemacht hätte und zugleich jeder weiß,

dass es ihm im Zweifel ebenso ergangen wäre. Aus solch bahnbrechenden

Erkenntnissen und Erfahrungswerten speisen sich übrigens auch

die besten Songs.




Künstler sein

 

Der einzige Außenseiter, den die Gesellschaft erträgt, ist der Künstler,

weil sie ihn heimlich um sein Talent beneidet und im gleichen

Atemzug sein Dasein verachten kann. Denn er ist nicht ihresgleichen.

Fast immer wird der unbegründet elitäre Hochmut des Künstlers

mit Häme über seine scheinbare Lebensuntüchtigkeit abgestraft.

Grenzen überschreiten erfordert Mut; das Gelächter, wenn man dabei

stolpert, hallt oft Jahrzehnte nach. Aus Angst vor Misserfolg singen

viele Menschen zum Beispiel nur dann, wenn sie mit sich allein sind.

Im Auto oder unter der Dusche. Verkannte Künstler entwickeln sich

oft zu sehr unangenehmen Zeitgenossen. Man mag ihnen nicht begegnen.

Weder im Straßenverkehr, viel weniger noch als Kollegen oder,

schlimmstenfalls, als Nachbarn.

 

Die Erkenntnis, anders zu sein als andere, stellte sich bei mir als eine

Art sanfter Schock ein. Es gab zwar nur eine Wahrheit, für mich aber

immer mehrere Wirklichkeiten. Das Leben zeigte sich mir stets ebenso

doppelzüngig wie janusköpfig. Der wahre Grund, warum ich mich

entschied, mit der Errichtung von Luftschlössern nicht meinen Lebensunterhalt

zu verdienen, wurde später in langen Gesprächen geklärt.

Meinen früh gefassten Entschluss habe ich nie bereut, verschaffte er

mir doch später einige Annehmlichkeiten und Freiheiten. Außerdem –

mit dieser metallenen Aura zu blenden, blieb reizvoll, allerdings führte

dies letztlich zu einer Gefühlsverkapselung.

 

Es ist ein Kunststück, sich diese bis heute unbenannte Krankheit nicht

anmerken zu lassen. In der Welt der Dazugehörigen nennt man das,

glaube ich, tägliche Herausforderung.

 

 

Hölderlin und ich


Kürzlich fiel mir ein vergilbter Gedichtband von Hölderlin in die

Hände. Mensch, Friedrich… Du und Ich und die Romantik. Ein

Wahnsinn! Aber das wird nichts mehr mit dieser Ménage à trois in

diesem Leben. Obwohl ich so andächtig saß, an deinem Grab. Ach, ich

weiß doch, dass du mir diesen derben Spaß nicht krumm genommen

hast.

Ich ging vor die Tür… eine rauchen. Sternklar die Nacht. Ich blies kleine

Schwaden in sie hinaus, lachte und schnippte den Stummel weg. Und

zündete gleich die nächste an. So viele Sterne da oben.


Ist das eigentlich so, dass es genauso viele Sterne am Himmel gibt wie

ungefähr die Summe der Menschen, denen man im Leben begegnet?

Man könnte auf den Gedanken kommen, das Universum sei vergleichbar

mit einem Bahnhof: Maschinen fahren rein und raus, richten das

Ganze, dazwischen diese wabernde Masse Mensch, wartend, sich

träge bewegend. Alle suchen doch nur nach einem Stern, der DEINEN

Namen trägt. Aber ernsthaft: Wie blöd ist das denn? Ich weiß nicht

mal, wie der Typ heißt, der mit diesem Scheiß ein gefühltes Universum

Gesichtsloser beglückte. Menschen, die wenigstens eine Fernbedienung

bedienen können. Das aber können die gut.

Schon wieder kam mir beim Rauchen ein Mensch abhanden. So ist das

mit den Zügen. Der Verspätung. Dem Warten. Tja, Friedrich, ich sag‘s

dir, das war mal wieder nix mit der Romantik.