Der alte Wohnzimmerschrank meiner Mutter steht seit Jahren auf dem
Speicher. Solides Holz. Etwas matt mittlerweile, aber unverwüstlich.
Beim Öffnen der Türen entströmt der Muff der Wunderkinderzeit.
Wenn er sprechen könnte, der Schrank, würde er wohl Geschichten
von Adenauer, Fritz Walter oder vom Stolz, wieder wer zu sein, erzählen.
Und von meiner Mutter natürlich.
Beim Aufräumen fiel mir neulich das Fotoalbum meiner Konfirmation
in die Hände. Nichts als aufgeklebte Zeit mit geheuchelten Randnotizen.
Wie ein ferner Film mit einem Hauptdarsteller, der ungläubig lächelnd, regelrecht gemütskrank zwischen allen Stühlen sitzt. Vater
zog es vor, drei Tage vorher spurlos zu verschwinden, beeilte sich aber
zum Kirchgang doch noch rechtzeitig zu erscheinen, zwar mit gehöriger
Asbachfahne, aber immerhin mit korrekt gebundenem Windsorknoten.
Da war es wieder: das komplette Drama der Details in chaotischer
Reihenfolge. Wie so oft malte ich mir die Bilder lieber selbst aus,
versuchte den Stapel der Skizzen im Kopf zu ordnen, wobei ich einige
immer wieder beiseite schob, wohl wissend, dass man das Geschehene
dadurch nicht ungeschehen machen kann.
Was würde sie wohl sagen, wenn sie wüsste, dass das Ölgemälde
ihres mutmaßlichen Lovers heute noch, siebzehn Jahre nach ihrem
Tod, in meinem Arbeitszimmer hängt? Diese eindimensionale Idylle
der hohen Berge mit den stolzen Tannenwipfeln, die ihr oft den Blick
darauf trübte, welche Schande ein ganzes Land auf sich laden kann.
Die Rolle meiner Mutter und die des Malers blieb bis zum Schluss
ungeklärt. Da fanden sich Zeugnisse und Dokumente, die manches ins
Licht rückten, was besser im Dunkeln geblieben wäre. Schon darum
nehme ich mir das Recht, die Unordnung im äußeren und seelischen
Bereich, die meine Mutter mir und meinen Freunden damals dauernd
attestierte, jeden Tag aufs Neue zu sortieren.
Tyler Durdon beim Abendessen
Soso… Tyler Durdon war also ein cooler Typ. So jedenfalls klang es
wörtlich aus ihrem Mund an jenem Abend, als Jeanette und Olaf uns
zum Essen eingeladen hatten. Dieses Abendessen blieb mir über die
Zeit als Theater choreographierter Peinlichkeiten haften.
Vitello Tonnato wurde unter anderem serviert, mit eigenhändig
aufgeschlagener Crème natürlich, so wie Biolek das im Fernsehen
vorgemacht hatte, dazu ein erdiger Barolo und Weißbrot. Von Lebensart
sprachen die beiden ebenso beiläufig wie beständig.
Jeder am Tisch faselte etwas Halbwissen aus Feuilletonseiten nach,
damit bloß nicht zur Sprache kam, was jeder wusste. Olaf fickte
eine andere – Jeanette litt. Ramona wusste wohl, wer diese andere
war, Jeanette nicht, und ich auch nicht, allerdings ahnte ich, dass sie
ebenfalls am Tisch saß.
Ich wollte mich am Geschwätz nicht beteiligen. Doch dann brachte
Ramona wieder diesen Namen ins Gespräch, um eine unangenehme
Stille zu überbrücken. Ich hakte nach: „Wie kann man eine solch
abartige Figur cool finden? Könntest du das bitte mal erklären?“
Keine Antwort.
Die russische Kellnerin in Trastevere. Sie hatte kein Kinogesicht. Allerdings
riefen sich mit ihr so viele verpasste Chancen wieder ins Leben
zurück.
Das Versprechen
Das waren keine Tränen. Es regnete nur, als ich die Augen öffnete.
Der Schädel brummte wie eine verstimmte Kirchenorgel, die Glieder
bleiern. Es roch nach Erde, verwelkten Blüten. Meinen Nachnamen
erblinzelte ich eingemeißelt. Zu allem Unglück hatte ich mir noch
ein Loch in die Hose gerissen, als ich betrunken über den Zaun des
Friedhofs geklettert war, in jener Nacht, in der ich zum letzten Mal mit
meinem Vater sprechen wollte.
Es hatte geklappt. Es würde, vielleicht, doch noch etwas werden aus
mir. Keine Ahnung, ob er stolz gewesen wäre, oder doch, wie immer,
eifersüchtig. Jedenfalls wollte ich es ihm sagen.
Nachdem ich die letzte Strophe jenes Liedes gehört hatte, das mein
Leben veränderte, rannte ich einfach los. Und landete offensichtlich
mehrmals auf den Asphalt.
Vor Zeiten noch war ich in hohem Bogen vom Gymnasium geflogen,
ach ja… was die Leute so alles reden. Meiner Mutter war das immer
sehr wichtig, was die Leute so redeten und dachten.
Mit meinem Vater habe ich dann doch kein Wort mehr gewechselt.
Ich schlief ein, wankte später zurück nach Hause und legte mich ins
Bett. Meine Mutter machte sich wie üblich Sorgen, war aber trotzdem
mächtig stolz, dass der Junge jetzt doch noch studieren ging. Das wurde
der Verwandtschaft, der Nachbarschaft und jedem, der es hören wollte
– oder auch nicht – reihum mitgeteilt.
Ich durfte sogar zurück in mein Elternhaus, weil ich ob der kargen
Bezüge meine Wohnung nicht halten konnte. Aber sowohl meine
Mutter als auch die Verwandtschaft rangen mir das Versprechen ab,
das Haus wieder zu verlassen, sobald ein Examen meine Vita zierte.
Ich war schon immer nur bedingt erträglich für meine Umwelt.
Die Hexe
Die Hexe! Ich hatte ihren Betrug aufgedeckt, was mir in der Folge zwar
berufliches Ansehen einbrachte, aber ich hätte nicht lächeln sollen in
dem Moment, als sie sich in meinen Fragen verfing und aus der Nummer
nicht mehr raus kam – vor Zeugen. Was blieb ihr übrig, als die Spinne
platt zu schlagen? Mit einer Hand räumte sie meinen Schreibtisch ab.
Diese Gewalt, mit der sie einen Stuhl in meine Richtung schmiss, der
mich verfehlte…stattdessen brachen die Lamellen des Rollschranks
hinter mir. „Ich lass dir alle Knochen brechen! Ich lass dir deine Eier
abreißen und fress sie!“ Die Wortgewalt eines so ungebildet rohen
Menschen ließ mir wohl erneut die Mundwinkel zucken, obwohl ich
wusste, dass ihre Söhne draußen standen. Drei an der Zahl – und der
jüngste mit seiner pockennarbigen Fratze hielt es nicht aus, stand plötzlich
schreiend in der Tür, mit diesen Tieraugen, doch da war schon
Hilfe herbeigeeilt in Gestalt der freundlichen Helfer in Grün. Taubheit
stellte sich ein, die kein Schulterklopfen mehr wahrnimmt.
Als Miriam mir viel später bei einem Glas Wein auf der Wohnzimmercouch
eine gewisse äussere Ähnlichkeit zu Gustaf Gründgens
nachsagte, überprüfte ich anderntags mein Lächeln vorm Spiegel, so
ganz mit mir allein… und ja, ich dachte dabei an die Hexe. Denke an
sie bis heute, manchmal beim Rasieren.
Einige Jahre danach las ich frühmorgens in der Zeitung von dem qualvollen
Tod dieses behinderten Jungen aus Frankfurt. Meine Gesichtsfarbe
in diesem Augenblick interessiert mich bis heute. Dann klingelte
das Telefon im Büro. Es klingelt immer noch. Aber es geht zu langsam
zu Ende. Wenigstens die Hexe ist schon tot.
Was in den Prozessakten stand, würde nicht mal Tarantino verfilmen.
Bis heute kann ich nicht fassen, dass Menschen fähig sind, anderen
Menschen Dinge anzutun, die man nur aus Geschichtsbüchern oder
Zeitungsberichten über den Kosovokrieg kennt. Alles vor meiner
Haustür!
Manchmal stehe ich vorm Spiegel und übe Lächeln.
Wählen gehen 1998
Helmut Kohl und die Rolling Stones haben nicht viele Gemeinsamkeiten,
nur die eine, dass sie eigentlich schon immer da waren, seit ich
für mich selber denken kann. Der Erste nahm einen Gesetzesbruch für
sich in Anspruch und stellte ein Gaunerehrenwort über die Verfassung,
die Anderen klangen geil wie eh und je. Nie habe ich länger in
einer Wahlkabine überlegt, wohin nun das Kreuz zu machen sei, als
1998, dem Jahr, in dem dieses Land des immer so dümmlich-tölpelhaft
wirkenden Weingesichtigen überdrüssig wurde und zu neuen Ufern
aufbrechen wollte. Aber statt dessen diesem eitlen emporgekommenem
Fatzke meine Zustimmung erteilen? Wählen ist Bürgerpflicht, schon
aus meinem Verständnis heraus, dass ein Wahlrecht nichts Selbstverständliches
ist, sondern etwas, dass sich ein Gemeinwesen erarbeiten
und bewahren muss. Wobei fraglich bleibt, wie viel sich diese Nation
davon selbst erarbeitet hat.
Es gehört zu meinen Lebensrätseln, warum anschließend ausgerechnet
der Strafverteidiger einer Mörderin, die dieses System mit Waffengewalt
bekämpft hatte, für die innere Sicherheit meines Landes zuständig
sein musste. Ein noch dickeres Buch mit sieben Siegeln bleibt für
mich die Tatsache, dass ausgerechnet ein Sponti, der Polizisten mit
Steinen bewarf und dieses Land einst aktiv bekämpfte, dasselbe Land
von nun an im Ausland vertreten sollte. Und noch mehr wunderte
es mich, dass dieser Gockel zum beliebtesten Außenminister aller
Zeiten gekürt wurde. Diese Meinung teilten eine Menge Leute, die
mich wiederum an Taten maßen, die seit Schulzeiten zurücklagen; die
seinerzeit behaupteten, mit mir und meinesgleichen sei kein Staat zu
machen. Man muss die Dinge manchmal ins Verhältnis setzen, sich der
größeren Vergleiche bedienen, um sich darüber klar zu werden, dass
man auf die Meinung einiger Leute keinen Wert legen sollte.
Der größte Witz der Weltgeschichte
Ich und der größte Witz der Weltgeschichte, bei dem mir das Lachen
über die Pointe nur allzu oft im Halse stecken blieb. Dauernd muss
ich diese Hinrichtungsszene im Lendenschurz ertragen. Also der Kerl,
jetzt mal ernsthaft, der ist ja nicht unsexy.
Aber wieso darf ich am Karfreitag nicht tanzen, nur weil ein politischer
Straftäter, dessen Leben und Wirken ein Häuflein Unterprivilegierter
so beeinflusste, dass sie anschließend die größte Hochkultur
der Antike zu Grunde richteten? Kann das bitte mal jemand erklären?
Das will mir nach 2000 Jahren nicht so recht einleuchten. Ausweichen
ist unmöglich, denn der Witz ist präsent allerorten. Seine Anhänger
behüten bis heute das Erbe dieses krude-perversen Gedankengutes,
wobei sie diesem gegenüber ständig jenen Respekt einfordern, den sie
selbst niemals bereit sind, Andersdenkenden entgegenzubringen. Das
verbietet ihnen nämlich schon ihr missionarisches Sendungsbewusstsein,
jeden bekehren zu müssen, der sich den Vorgaben aus ihrem
Märchenbuch nicht anschließen mag. Selbst Voltaire und sein Zeitalter
konnten nicht verhindern, dass dieser Unfug immer noch alle gesellschaftlichen
Felder beackert. Das geht von Regelungen, wie im Schlafzimmer
zu verfahren ist, bis hin zur Stammzellforschung.
Das Leben ist unfair genug. Miriam erkrankte vor Jahren so schwer,
dass allein der Fortschritt des Geistes mit all seinen engagierten Helfern
im Dienste der Wissenschaft schließlich ihre Besuchszeit auf diesem
Planeten angenehm verlängerte. Und immer wieder las ich später
von den Tiefgläubigen, die das am liebsten verhindert hätten. Ja, ich
nehme das seitdem sehr persönlich, wenn jemand von mir verlangt,
ausschließlich auf den Beistand eines Gedankenbildes zu vertrauen,
das landläufig Gott genannt und erwiesenermaßen fälschlich als lieb
bezeichnet wird. Selig sind die geistig Armen. Sie verdienen mein
Mitleid. Aber Respekt?
Fünfzig werden
Wenn du Vierzig wirst, gibst du eine Party. Der Plan dazu beginnt
mit einer handgeschriebenen Gästeliste, die umfasst 100 bis 150 Leute.
Schließlich blickst du länger zurück als beim Dreißigsten. Es wird
gestrichen, aber am Schluss bleiben doch so um die 120 Leute übrig.
Du willst dich nicht lumpen lassen, rennst zum Metzger, entscheidest
dich für Rinderbraten mit pampiger Soße, weil das jeder mag, anstatt
etwas zu wagen, das anschließend auf den Tabletts liegen bleibt.
Da sind alle deine Freunde. Die werden sich bereit erklären, ihre Video
Kamera einzusetzen, um das Buffet zu filmen. Andere tragen zu deinem
Ehrentag selbst verfasste Gedichte vor oder singen ein Liedchen. Man
kann das Gutgemeinte nicht verdenken. Es geht ja schließlich um dich.
Niemand der etwa 120 Gäste käme auf die Idee, sich selbst darstellen
zu wollen, zum Beispiel in einem eigens für dich inszenierten Theaterstück,
in dem ein gerade beliebter Fernsehsketch nachgestellt wird.
Zum Fünfzigsten wird man dir in einer Art feierlichem Akt ein T-Shirt
überreichen. Da steht drauf: „Netter älterer Herr“. Das wird sicher der
Brüller des Abends.
Du hingegen hast die Möglichkeit mit Mitte 40 vorerst Bilanz zu ziehen.
Abschlüsse bringen nie erfreuliche Ergebnisse, selbst wenn etwas
dabei heraus springt. Wer also hatte in den zurückliegenden Jahren
von dir profitiert? Von wem hast Du etwas erhalten, das dich weiter
brachte? Es werden keine 120 Leute übrig bleiben. Und dann beginnst
du Summen zu bilden. Du addierst das Geben. Menschen sind so. Sie
addieren immer zuerst das Gegebene. Erst danach berücksichtigen sie
das Nehmen, wobei das ein oder andere auch schon mal großzügig
unter den Tisch fällt. Ganz am Schluss erfolgt das Gegenüberstellen
der Jahre. Die Gesichter verschwimmen. Unterm Strich entscheidet
sich zwischen Mickie Krause und U2, wer sich wirklich für dich interessierte
oder wer nur auf deiner Party anwesend war.
Mitglied einer Rockband sein
Nichts verbindet Menschen mehr als Musik. Kein Fußballverein, kein
Rotarier-Club, schon gar keine Partei. Über Jahrzehnte gewachsene
Männerfreundschaften in einer Band wärmen selten das Herz, aber sie
bleiben beständig für die großen Momente, in denen es um die Wurst
geht.
Ziel einer jeden Rockband sollte die Bewahrung und Verteidigung der
Grundwerte des Rock’n’Roll sein. Da bin ich ganz konservativ. Man
muss die Dinge auf sich zu kommen lassen, um am Ende dem ganzen
Schlamassel mit einem blauen Auge zu entrinnen.
Wer fast zwanzig Jahre in einer Rockband spielt, darf sich mindestens
einmal im Leben in die falsche Frau verlieben, zu einer Wahrsagerin
gehen, mit dem dort erworbenen Wissen alles aufgeben, ein neues
Leben beginnen und grandios scheitern. Versagen ist kein Zeichen von
Schwäche, sondern Bestandteil eines guten Charakters.
Wenn man glaubt, alles ist verloren, hilft nur eins – trinken. Und zwar
so lange, bis selbst mit aller Gewalt nichts mehr reingeht und das letzte
Essen wiederkommt. Speichelfäden hinterlassen keine dauerhaften
Flecken. Am besten trinkt es sich natürlich in Gesellschaft derjenigen,
die aus lauter Sympathie für’s Bier einfach mitleiden, dem wehleidigen
Gelaber lauschen, neunmalkluge Ratschläge beisteuern und größere
Pläne schmieden. Eine Rockband ist Heimat, ein Platz also, wo
bekanntlich jeder alles besser gemacht hätte und zugleich jeder weiß,
dass es ihm im Zweifel ebenso ergangen wäre. Aus solch bahnbrechenden
Erkenntnissen und Erfahrungswerten speisen sich übrigens auch
die besten Songs.
Künstler sein
Der einzige Außenseiter, den die Gesellschaft erträgt, ist der Künstler,
weil sie ihn heimlich um sein Talent beneidet und im gleichen
Atemzug sein Dasein verachten kann. Denn er ist nicht ihresgleichen.
Fast immer wird der unbegründet elitäre Hochmut des Künstlers
mit Häme über seine scheinbare Lebensuntüchtigkeit abgestraft.
Grenzen überschreiten erfordert Mut; das Gelächter, wenn man dabei
stolpert, hallt oft Jahrzehnte nach. Aus Angst vor Misserfolg singen
viele Menschen zum Beispiel nur dann, wenn sie mit sich allein sind.
Im Auto oder unter der Dusche. Verkannte Künstler entwickeln sich
oft zu sehr unangenehmen Zeitgenossen. Man mag ihnen nicht begegnen.
Weder im Straßenverkehr, viel weniger noch als Kollegen oder,
schlimmstenfalls, als Nachbarn.
Die Erkenntnis, anders zu sein als andere, stellte sich bei mir als eine
Art sanfter Schock ein. Es gab zwar nur eine Wahrheit, für mich aber
immer mehrere Wirklichkeiten. Das Leben zeigte sich mir stets ebenso
doppelzüngig wie janusköpfig. Der wahre Grund, warum ich mich
entschied, mit der Errichtung von Luftschlössern nicht meinen Lebensunterhalt
zu verdienen, wurde später in langen Gesprächen geklärt.
Meinen früh gefassten Entschluss habe ich nie bereut, verschaffte er
mir doch später einige Annehmlichkeiten und Freiheiten. Außerdem –
mit dieser metallenen Aura zu blenden, blieb reizvoll, allerdings führte
dies letztlich zu einer Gefühlsverkapselung.
Es ist ein Kunststück, sich diese bis heute unbenannte Krankheit nicht
anmerken zu lassen. In der Welt der Dazugehörigen nennt man das,
glaube ich, tägliche Herausforderung.
Hölderlin und ich
Kürzlich fiel mir ein vergilbter Gedichtband von Hölderlin in die
Hände. Mensch, Friedrich… Du und Ich und die Romantik. Ein
Wahnsinn! Aber das wird nichts mehr mit dieser Ménage à trois in
diesem Leben. Obwohl ich so andächtig saß, an deinem Grab. Ach, ich
weiß doch, dass du mir diesen derben Spaß nicht krumm genommen
hast.
Ich ging vor die Tür… eine rauchen. Sternklar die Nacht. Ich blies kleine
Schwaden in sie hinaus, lachte und schnippte den Stummel weg. Und
zündete gleich die nächste an. So viele Sterne da oben.
Ist das eigentlich so, dass es genauso viele Sterne am Himmel gibt wie
ungefähr die Summe der Menschen, denen man im Leben begegnet?
Man könnte auf den Gedanken kommen, das Universum sei vergleichbar
mit einem Bahnhof: Maschinen fahren rein und raus, richten das
Ganze, dazwischen diese wabernde Masse Mensch, wartend, sich
träge bewegend. Alle suchen doch nur nach einem Stern, der DEINEN
Namen trägt. Aber ernsthaft: Wie blöd ist das denn? Ich weiß nicht
mal, wie der Typ heißt, der mit diesem Scheiß ein gefühltes Universum
Gesichtsloser beglückte. Menschen, die wenigstens eine Fernbedienung
bedienen können. Das aber können die gut.
Schon wieder kam mir beim Rauchen ein Mensch abhanden. So ist das
mit den Zügen. Der Verspätung. Dem Warten. Tja, Friedrich, ich sag‘s
dir, das war mal wieder nix mit der Romantik.